Meine Flucht aus Shanghai
Unsere ersten Tage in Shanghai
Drei Tage stecken wir nun wieder in der Großstadt. Shanghai, eine weitere chinesische Metropole, eine Weltstadt, die New York, London oder Paris in nichts nachsteht, die auf mich fast schon vertraut wirkt. Die vielen Hochhäuser, die breiten Fußwege, die langen Shoppingmalls, all das lässt mich fast vergessen, dass wir in China sind und beinahe könnte man glauben, wir befinden uns in einer amerikanischen Großstadt. Doch da blitzt es wieder hervor, wagt man einen Blick in die kleinen Gassen, nimmt man das chinesische Flair wieder wahr, schaut man in die Gesichter, erkennt man es wieder und ignoriert man nicht die Gerüche und die Zeichen, weiß man doch, wir sind in China. Shanghai ist so anders, es ist voll, ja, aber es ist anders voll. Ich bleibe stehe und versuche ein Gefühl für diese Stadt zu bekommen. Ich fühle eine gleiche Hektik wie ich sie einst in New York spürte, es ist eine geschäftigte Hektik keine touristische und anders als in Peking, wo es mehr um Traditionen des Landes geht, treffe ich hier auf Moderne und vielerlei westliche Standards. Auch ein deutsches Lokal läuft uns in Shanghai über den Weg.
Shanghai und seine Spielplätze
Nachdem wir uns den ersten Tag in Shanghai wirklich nur von der langen und kräftezerrenden Zugfahrt erholen, was für mich eine größere Notwendigkeit zu sein scheint als für Jannik und den späten Nachmittag im nahegelegen Park auf dem Spielplatz verbringen, starten wir den nächsten Tag mit dem Ausflug in die Innenstadt und an die Uferpromenade von Shanghai. Ich genieße hier in erster Linie die breiten Fußgängerwege und die deutlich wenigeren Motorroller auf den selbigen, die einen vorbei hupen. Ich entscheide mich für ein Luxusprogramm und wir gehen das erste Mal in China in ein Restaurant, aber nein, es gibt nicht chinesisch, sondern italienisch auf Janniks Wunsch. Pasta von einem chinesischen Koch zubereitet, bleibt aber am Ende irgendwie chinesisch. Aber egal, Jannik genießt seine Spezialpizza. Wir laufen den ganzen Tag über wieder gefühlte 15 km und die Füße schmerzen. Der nächste Tag geht in den Peoples Square Park in Shanghai, eigentich auf der Suche nach dem Spielplatz, der mir vom Hotellier empfohlen wurde, aber ich stelle fest, was er als Spielplatz empfindet, entpuppt sich als kleinen kommerziellen Attraktionspark für Kinder mit etwa 7 Fahrgeschäften. Jannik ist entzückt und ich zähle schonmal unser restliches Geld. Es fällt schwer, ihm den Wunsch nach einem Fahrgeschäft auszuschlagen und so einigen wir uns auf drei Stück und ein Paket Seifenblasen, das ist ein wirklich fairer Kompromiss. Ich mache eine Entdeckung, die mich erschaudern lässt. Kennst du das Entenangeln auf den Jahrmärkten? In China, hier in Shanghai scheint es eine abgewandelte Form davon zu geben, nur dass du hier Goldfische angelst, diese sind aber keinesfalls aus Plastik, sondern lebendig. In einem kleinen Pool schwimmen diese armen Tierchen nun und schnappen nach den Brotkrumen, die ihnen ins Wasser gehalten werden. Dass sie am Ende am Haken hängen, ändert ihr Schicksal nur verschwindend gering. Der Clu an der Sache ist, du darfst jeden selbst geangelten Fisch mit nach Hause nehmen, entweder in einer käuflich zu erwerbenden Plastikbox oder ganz einfach so in der Plastiktüte. Jannik möchte schon seit Monaten das Angeln erlernen und wittert hier sofort seine Chance, sein Verständnis für die missliche Lage ist nicht sonderlich ausgeprägt und ich erkläre ihm, dass Angeln nach wie vor aus einem Überlebensinstinkt heraus geschehen sollte und nicht aus Spaß. Natürlich würde er liebend gern einen solchen Fisch mit ins Hotel und auch auf unsere weitere Reise nehmen. Am Ende versteht er aber meine Bedenken und beginnt Mitleid für die armen Tiere zu bekommen.
Unsere Flucht aus Shanghai
Ich wache am Morgen auf und stelle fest, ich muss raus aus der Stadt. Eine weitere mir zugesagte Schlafmöglichkeit ist mir spontan abgesprungen und das Geld fliegt dahin. Der Verkehr ist mir zuviel, die Wege zu weit, die Füße schmerzen, die Unterkünfte zu teuer und die Dame, die mich gerade gestern noch an der Straße beim Verkauf einer Durianfrucht übers Ohr gehauen hat, bestätigt nur meinen Impuls. Aber vor allem merke ich, ich will kein Tourist mehr sein, ich will mich nicht als solcher fühlen und auch nicht so behandelt werden. Ich möchte eintauchen in die Kultur, ich möchte mittendrin sein. Ich möchte ein Teil davon sein, ich will verstehen was mir noch so fremd ist. Ich bitte eine Freundin aus der Ferne mir Alternativen in der nahegelegen Umgebung von Shanghai aufzuzeigen und ich begebe mich zum Bahnhof im Westen von Shanghai.
Dreimal Nein für den Stehplatz von Shanghai nach Suzhou
Während ich geduldig in der Schlange warte, übrigens klappt es in Shanghai etwas besser mit der Kommunikation als in Peking, knabbert Jannik am Rand genüsslich seinen Apfel und wacht über unser Gepäck. Ich kaufe ein Ticket von Shanghai nach Suzhuo, eine Stadt etwa 120 km westlich von Shanghai, man nennt sie auch Stadt der Gärten. Ausschlaggebend ist für mich das Hotel, welches mit umgerechnet 15 Euro und einem kostenlosen Fahrradverleih wirklich passend für uns ist. Dann folgt ein Szenario, welches mir schon vertraut ist, es gibt nur noch Stehplätze. Fassungslos schaue ich die Ticketverkäuferin an, die ihrerseits sehr irritiert ist, denn es handelt sich ja nur um eine Strecke von etwa einer Stunde. NEIN, dreimal NEIN, kein Stehplatz mehr für uns. Ich bitte sie einen späteren Zug zu prüfen, auch ausgebucht. Sie bietet mir dann eher beiläufig den G-Train an, welcher der ICE Chinas ist und ich willige sofort ein und investiere die 5 Euro für die kurze Fahrt im Hochgeschwindigkeitszug. Was ich dort erlebe, ist so anders als unsere Erfahrung im Localtrain von Peking nach Shanghai. Man hat hier eher das Gefühl, in einem Flugzeug zu sitzen, die Zugbegleiter sind wie Stewardessen gekleidet und der Service ist überragend gut. Und was mir am allerbesten gefällt, es wird überall und immer wieder auf das Rauchverbot hingewiesen. Das wertet meine Zugerfahrung in China noch einmal gehörig auf.
Mit dem Trycicle ins Hotel
In nicht mal 20 Minuten haben wir unser Ziel erreicht und ich gönne uns einen weiteren Luxus zu Janniks Begeisterung und wir nehmen ein Trycicle zum Hotel, welches mit umgerechnet 2,50 Euro auch noch vertretbar ist. Das Hotel liegt in einer lebendigen Seitenstrasse und ich merke wie mir das Flair hier sehr gefällt. Irgendwie ist alles familiär und wirkt mir sehr vertraut, ich habe die Melodie des kleinen Mannes aus Peking im Ohr und weiß genau, es war richtig aus Shanghai zu fliehen. Hier kann ich eintauchen in eine Kultur, die mir noch so fremd ist, die ich so gerne verstehen möchte.
Wir tuen, was wir lieben
Am nächsten Tag tuen wir das, was uns am meisten Spaß macht, wir radeln durch die Stadt und vergessen das geschäftigte Treiben von Shanghai. Ich merke wie gut uns das tut nach all dem Trubel der letzten zweiundhalb Wochen. Jannik erlebt seine erste Fahrt auf dem Gepäckträger und ist stolz wie Oskar mit mir wie die Einheimischen die Straßen unsicher zu machen. Ich habe heute das Gefühl, ganz chinesisch zu sein. Zwar besuchen wir eine Attraktion, nämlich den historischen Stadtkern von Suzhou, aber am Ende fahren wir einfach nur planlos durch die Gegend und lassen uns von Verkehrsfluss treiben. Unsere größte Herausforderung ist das Linksabbiegen, das ist die Königsdisziplin des Radfahrens in China. Denn man tut es gleichzeitig mit den Rechtsabbiegern der gegenüberliegenden Seite und überfährt die Fußgänger, denn die Hierarchie im Straßenverkehr ist hier eine andere und da stehen Fußgänger ganz unten in der Kette. Was für Jannik ein Riesenspaß ist, treibt mir den Schweiß ins Gesicht. Von links und rechts überholt, hoffe ich, dass mir die Fußgänger ausweichen und alles geht gut. Nach drei Linksabbiegungen dieser Art bin ich schon fast ein Profi 😉
Unser traurigster Moment
Am späten Nachmittag ziehen wir noch um die Häuser und machen die wohl traurigste Begegnung unser bisherigen Reise. Wir schlängeln uns durch die schmalen Gassen als sich ein beißender Geruch verbreitet und ehe ich mich versehe sind wir mittendrin, mitten auf einen dieser berüchtigten Tiermärkte und ich ringe um Fassung. Jannik stürzt sich sofort auf die kleinen Welpen und kann den Ernst der Lage noch nicht erfassen während ich den Tränen nahe bin.Hundewelpen, Katzenbabies, Kaninchen, Meerschweinchen, Streifenhörnchen, Hamster, Vögel jeglicher Art und noch weitere Kleintiere werden unter absolut unwürdigen Bedingungen in viel zu engen Käfigen und in Massen darin, völlig verstört den Leuten zum Kauf angeboten. Mein Auge fällt sofort auf ein Glas mit etwa 30 kleinen Hamstern, die teils übereinander liegen und versuchen die Glaswand hochzuspringen aus Angst um ihr Leben, ich höre die weinenden Hunde, die jammernden Katzen, die auf Gitterstäbe laufen, damit ihre Ausscheidungen einfach herunter fallen und nur beiseite gefegt werden müssen, ein kleiner Behälter mit etwa 30 Schildkröten, die aufeinander gestapelt sind, etwa 20 Hasen in einem Käfig von der Größe eines Sofakissens, Enten, die in einem so katastrophalen Zustand sind wie ich es nur aus den Tierschutzvideos kenne und wer den absoluten Geräuschklu sucht, der kann sich hier eine Grille kaufen, die in einer kleinen Kugel in der Größe eines Tennisballs dann täglich ihr Konzert mit der Bitte um Freiheit gibt.
Ich kann sie nicht retten
Ich habe das Bedürfnis sofort alle Tiere zu retten. Die Tatsache, dass ich es nicht kann, stimmt mich traurig und wütend zugleich. Ich merke ganz deutlich, ich muss hier weg. Mittlerweile bekommt auch Jannik ein ganz eigenes Bewusstsein dafür, dass die Tiere hier sehr traurig sind und er möchte gern eine Schildkröte mitnehmen, um sie dann auszusetzen. Mich rührt seine Idee sehr und trotzdem teile ich ihm mit, dass jeder Betrag, den wir hier lassen die Sache nicht besser macht und sein Geld in einer Tierschutzorganisation oder einem regionalen Tierheim vermutlich besser angelegt wäre.
Weil sie es nicht besser wissen
Es fällt mir schwer die Eindrücke sacken zu lassen und ich bemühe mich um Distanz, Jannik hat viele Fragen und es tut mir gut, diese so rationell und kindgerecht wie möglich zu beantworten. Aber auf eine Frage hab ich keine zufriedenstellende Antwort und ich möchte sie am liebsten sofort weitergeben an einen Verantwortlichen. “Warum machen die Chinesen das und warum hören die nicht, dass die Tiere weinen?” , meine Antwort lautet WEIL SIE ES NICHT BESSER WISSEN ! “Komm Mama, wir müssen es ihnen sagen” Wie recht er damit hat.
Warum es wichtig ist, Intuitionen zu folgen
Am Abend überkommt uns beiden der Hunger und während wir an all den Garküchen vorbei schlendern, die einen undefinierbaren Geruch verstreuen, entdecke ich eine kleine Perle, einen vegetarischen Stand mit vielerlei köstlichem gebratenen Gemüse und wir bekommen neben tagelanger Instantnudeln und Rohkost unser bisher bestes Essen in China, kaufen nebenan noch eine Art Nanbrot aus einer Blechtonne und die superleckersten Sharonfrüchte, die ich bisher gefunden habe. Das ganze gab es dann für einen unschlagbaren Preis von 1,20 Euro für zwei Personen. Jannik haut rein wie schon lange nicht mehr und ich bin sehr dankbar für diese Entdeckung. Obwohl mich die Ereignisse des Tages noch immer um den Schlaf bringen, habe ich heute wieder einen Tag erlebt, der mir bestätigt hat, dass es sehr richtig ist spontanen Intuitionen zu folgen. Unsere Flucht aus Shanghai war sehr wichtig für uns, denn nun sind wir wieder bei uns und tuen das, was wir lieben, tauchen ein in eine fremde Kultur, haben viele Fragen und suchen nach Antworten.
Ich hab schon wieder das Gefühl dabei zu sein. Du schreibst und beschreibst so lebendig und anschaulich, dass ich Tränen in den Augen bei deinem Bericht über den Tiermarkt hatte
und anschließend ein Lächeln auf den Lippen wegen Janniks wunderbarerer kindlicher Betrachtungsweise und Logik …”wir müssen es ihnen sagen”
Drück euch ganz fest, Angie
Danke liebe Angie. Ja, die kindliche Betrachtung sollte viel presenter in vielen Köpfen sein. Es schmerzt zu sehen, dass man nicht die Welt aendern kann.
ich liebe euch Maus :-*
🙂 Danke dir.
Ein wirklich umfangreicher Artikel mir selber kamen die Tränen dabei als ich die Bilder der Tiere sah es ist immer wieder schön wie Du little Jannik Sachen erlklärst .Meine Kinder sind schon gross aber ich habe Enkelkinder und würde mir gerne von Dir einige Erklär- Methoden and Herz legen wollen.Freue mich nun auf weitere Gescichten von Dir.Lass Euch drücken
lieben gruss von Gabi und Familie
Wie schön, dass es dich berührt hat.
Ich verfolge deinen Blog seit einigen Monaten mit großem Interesse. Mich würde interessieren, aus welchen Gründen es dich nach China gezogen hat und ob ihr noch weitere Länder in eurem Jahr besuchen werdet. Soweit ich verstanden habe, wollt ihr doch ein Jahr unterwegs sein? Falls du diese Dinge schon anderweitig beantwortet hast, würde ich mich auch über einen Verweis freuen, um noch besser eure aufregende Reise nachvollziehen zu können. Euch beiden alles Gute und weiterhin soviel Aufgeschlossenheit allem Neuen gegenüber!
Liebe Jana,
die Gründe für China liegen eher in der Herausforderung. Der Traum, einmal auf der großen Mauer zu stehen war sicherlich genau so ausschlaggebend wie das Interesse eine fremde Kultur besser verstehen zu können. Die Dauer unserer Reise ist nicht definiert. Eines unser Ziele sind die Philippinen, um dort, wo mich vieles veraendert hat und Jannik so frei war wie nirgends anders, einen längeren Aufenthalt zu haben. Vielleicht bleiben wir dort eine Weile, vielleicht zieht es uns weiter, wir lassen uns treiben und leben den Moment.