Der amerikanische Traum 2011/2012
Der amerikanische Traum 2011/2012
Ich stehe mit Jannik am Flughafen und beobachte die Flieger auf und ab steigen, als ich entscheide, es sei nun auch mal an der Zeit für Janniks ersten Flug und damit sich der auch lohnt, soll es nach Amerika gehen, ganze drei Monate, das Visum soll schließlich genutzt werden. Wie immer überlege ich nicht lange, sondern beschäftige mich zeitnah mit dem Suchen von Flügen, für 450 Euro direkt und retour nach Newark von Frankfurt aus, ist er dann schnell gefunden und gebucht. Ich befinde mich in Elternzeit, also Zeit hab ich mehr als genug, nur das Geld nicht unbedingt, also mach ich mich gleich auf die Suche nach Untermietern für den Zeitraum. Auch die habe ich dann noch in letzter Sekunde vor Abflug gefunden, es handelt sich um drei unterschiedliche Personen, die meine Wohnung dann während meiner Abwesenheit quasi als Wg nutzen.
Der amerikanische Traum per couchsurfing
Da ich mich in den letzten 6 Monaten intensiv mit dem Thema Couchsurfing in Form von hosten vertraut gemacht habe, soll diese Plattform auch mir einen tollen Urlaub im Schoß von Einheimischen ermöglichen. Wer couchsurfing nicht kennt, für den sei hier nur kurz erwähnt, es bietet die Möglichkeit kostenfrei bei Einheimischen auf Couches oder Gästebetten unter zu kommen, die Bezahlung erfolgt ausschließlich in Form von kulturellem Austausch. Auf diese Art zu reisen stellt den Pauschaltourismus total in den Schatten. Ich meine unsere erste Übernachtung ist bei einer Kunstgalleristin direkt am Broadway, zugegeben mit nem einundhalbjährigen Kind nicht die beste Wahl ohne ausreichenden Versicherungsschutz, aber um dies vorzugreifen, wir haben es gut gemeistert.
Nun zur Reise und dem Flug
Die Idee einen Nachtflug zu nehmen, entsprang natürlich der Hoffnung, Jannik im tollen mobilen Kinderbettchen der Fluggesellschaft vor meinem Sitz schlafen zu lassen, aber reisen mit Kindern ist immer Sonderregeln unterstellt, so verschläft er Start und Landung, wird zwischendurch und pünktlich zur Schlange in der Immigration wieder wach.
Bitte was? Ich habe mein Kind entführt
Da stehe ich nun, mit meinem gebrochenen nie angewendetem Schulenglisch und den Fragen der kritischen Beamtin, dem Vorwurf der eventuellen Kindesentführung ausgesetzt. Schock macht sich in mir breit, das war es dann wohl, zumindest war ich mal am Flughafen. Ich versuche ihr zu erklären, dass ich nach deutschem Recht alleiniges Sorgerecht habe, stelle aber später fest, ich habe ihr mit meinem Mangel an Vokabular erklärt, ich sei Witwe. Ok, auch egal, sie lassen mich passieren und in mir ein ungeahntes Glücksgefühl beim Verlassen des Flughafens.
Die erste Nacht und der Jetlag
Ich habe mir zuvor für die Ankunftsnacht ein Hotel rausgesucht, weil ich schwer einschätzen konnte, wie uns der Jetlag trifft und es war ne weise Entscheidung. Jannik ist nach amerikanischer Zeit um 2 Uhr morgens so lebendig, dass wir den Hotelflur unsicher machen und den Snackautomaten plündern. Der Teppich hier erinnert mich an eine Requisite aus dem Stephen King Film “Shining”, gruselig.
New York wir kommen
Am nächsten Morgen geht es auf nach Manhattan, ich entscheide mich für den Zug, der bis zum Ground Zero fährt, der Kostenpunkt liegt bei 10 $. Voller Erwartungen und Vorfreude, werde ich bei Ankunft mit einem drückenden Gefühl geplagt und der Frage “Das ist es? Davon spricht die Welt?” Der erste Eindruck von New York überfordert mich, stockender Verkehr, hektische Menschen, Häuserspitzen, die man nur aus einer Mindestentfernung von einen Block erkennen kann, grelle Lichter und die Zeile im Kopf “i want to be a part of it, New York,New York”……..nein, die überschwengliche Freude bleibt aus, aber an dieser Stelle sei gesagt, dass meine Liebe zu New York auf den zweiten Blick am Ende des Trips entfacht wird. Wir bleiben 3 Tage in der Stadt, bei Carol der zuvor erwähnten Kunstgalleristin und erkunden New Yorks Spielplätze und den Central Park. Die Hoffnung mit New Yorker Müttern über volle Windeln und Backenzähne zu quatschen wird schier aufgrund der hohen Anzahl von Kindermädchen zerschmettert. Elternzeit ist in Amerika eher ungewöhnlich. Das Sightseeing Programm fällt mit Kind immer etwas sparsamer aus, die Freiheitsstatue bestaune ich von der kostenlosen Staten Island Ferry, die Spitze des Empire State Buildings bestaune ich aus zwei Blocks entfernt, denn tatsächlich ist diese Entfernung zur Sicht nötig. Das einzige Kinderunfreundliche, was ich durchsetze ist der Besuch zur Eröffnung des größten Weihnachtsbaumes am Rockefeller Center, ein eigener Kindheitstraum, seitdem es “Kevin allein in New York” gibt. Die Menschenmassen beginnen bereits 3 Blocks entfernt und ich bin äußerst dankbar für Janniks festen Schlaf in der Tragehilfe und der weisen Entscheidung ohne Karre zu reisen. Ob es sich gelohnt hat? Ja, das Bedürfnis meines inneren Kindes vor diesen tollen Baum zu stehen, wird komplett erfüllt und es macht sich diese unantastbare Freude breit.
Mit dem Bus nach Philadelphia
Am nächsten Tag geht es mit dem Boltbus für 10 $ nach Philadelphia zu einer Familie mit einem einjährigen Jungen, auf die ich mich sehr freue. Der amerikanische Traum ohne die Gründerstadt Philadelphia? No way. In der Bahn in den Aussenbezirken von Philadelphia ist Jannik extrem unruhig und hungrig, so dass ich ihm von einen Schal geschützt in der Bahn stille, später erklärt mir die Familie den Grund für die fassungslosen Blicke der Mitreisenden. Stillen in der Öffentlichkeit ist ein Tabuthema und kann sogar als Belästigung eingestuft werden, ich merke es mir für den weiteren Reiseverlauf. Wir haben irre viel Spaß mit Erin, David und Klein Mica.
Mit dem Amtrak Zug nach Washington DC
Es folgt noch ein kurzer Aufenthalt mit dem Amtrak Zug für 80 !!! $ nach Washington DC, eine ausserordentlich schöne und multikulturelle Stadt, wo ich eine Freundin aus Deutschland besuche, bevor es dann mit dem Cityjet nach Jacksonville, Florida geht.
Was der amerikanische Traum und der Sunshine State Florida gemeinsam haben
Florida oder auch der Sunshine State genannt ist der Inbegriff und Synonym für den amerikanischen Traum gleich neben Kalifornien und New York. In Jacksonville startet unser zweimonatiger Roadtrip. Dort hole ich unseren Mietwagen ab, den ich bereits im Vorwege für 2 Monate zum Preis von 900 $ gebucht habe. Ich erwähne nur kurz, dass ich seit etwa einem Jahr kein Auto mehr gefahren bin, weil Jannik Autofahren hasst, ich keine Automatikkenntnisse habe und auch das Buchen eines Navis nicht in meinen Budget vorgesehen war. Mein erstes Ziel ist also erstmal vom Flughafen in Jacksonville weg zu kommen, was mich echt jede Menge Schweiß kostet. 4 Spuren und jede geht woanders hin, Kreuzungen ohne Ampeln und es fährt wer als erster gebremst hat, aber wer verdammt hat denn nun als erstes gebremst ?
Ich treffe auf wildes Amerika
Die zuvor ausgedruckten Routen meiner Freundin aus DC sind eher semi hilfreich und auch ein Gespräch mit einem alten Pärchen am Fastfoodtresen über die Kriminalität und die unberechenbaren Amerikaner, der eingegitterte Tankwart und ein unzufriedenes Kind auf der Rückbank lassen mich zu dem Entschluss kommen, meine Mutter hatte Recht, als sie mir Monate zuvor erzählte, ich sei verantwortungslos und wir werden gekidnappt und in Stücke geschnitten. Fünf Stunden später kommen wir bei unseren nächsten Gastgebern, ein Lehrerpärchen in Jacksonville, an, sehr tolle Menschen und ich verliebe mich in die amerikanische Gastfreundlichkeit. Ich erzähle von meinen Ängsten und dem Gespräch mit dem Pärchen am Tage. Die Angst verflüchtigt sich, das Problem mit der Navigation leider nicht.
Weitere drei Tage mache ich mir das Leben ohne Navi schwer
Hätte ich bloß gewusst wie anstrengend das ist ohne Navi. In St.Augustine, bei Mari-Jane und Familie erhalte ich die freundliche Leihgabe eines Navis bis zum Ende unserer Reise und ich erlebe wieder einmal wie herzlich sich das Reisen fernab vom Pauschaltourismus anfühlt. Am Abend fahren wir samt Kindern durch die Gegend und bestaunen die weihnachtlich dekorierten Häuser, die hier förmlich an einen Wettkampf erinnern. Jeder schmückt was das Zeug hält und wer es nicht tut, ist der Grinch ! Herrlich wie hier alle Klischees bedient werden.
Diese “Geschichte” hab ich schon einigemale gelesen und werde es auch immer wieder tun, es berührt mich so sehr und ist einfach schön zu lesen!! Man fühlt sich wie dabei und es zieht einen einfach in den bann, danke dafür
Liebe Steffi,
wow das klingt ja ganz schön abenteuerlich! Es war bestimmt eine wunderschöne Zeit! Deine Geschichte ist unglaublich unterhaltsam. Mir selbst hat es in Miami auch nicht so sehr gefallen…Würdest du solch eine Reise nochmal planen oder dann lieber wo anders hin gehen?
Liebe Grüße,
Sandra
Ich würde sofort wieder hin, nur diesmal ohne Miami und vermutlich mit dem Rad. Auf meiner Bucketlist, die ich unbedingt nochmal veröffentlichen sollte, steht unter anderem die 7-Mile-Bridge mit dem Rad überqueren. Obwohl wir zwei Monate in Florida waren, habe ich immer noch das Gefühl, jede Menge verpasst zu haben. Das ist wahrscheinlich eine Festellung, die jeder Reisende macht, wenn es zurück nach Hause geht 😉
Das mit dem Rad ist ne super Idee!
Ja, das Gefühl kenn ich.
Man kommt Heim & denkt man hat viel verpasst…aber so ist das nun einmal.
Es geht eben nicht immer alles und es gibt da draußen noch so viel zu entdecken!
🙂
Also, trotz der Länge finde ich den Beitrag wirklich toll. So toll, dass mir noch mehr viele kleine Details fehlen zu den Menschen und den Orten. Gibt es eine Fortsetzung davon?
Danke für diesen mutmachenden Bericht! Ich überlege mit meiner einjährigen Tochter zu reisen, aber weiß nicht, ob ich die Hürde auch so gut meistern kann. Zudem ist mein Umfeld leider gegen diese Idee! Ich bin ein Jahr durch Australien gereist (mit jobben) und bin nun seit einem Jahr mit meinem Kind zu Hause und langsam wird es Zeit raus zu kommen! Welche Reise würdest Du für den Anfang empfehlen (wichtig sind mir Leichtigkeit, Sicherheit, Hygienestandards und leider hab ich ein sehr kleines Budget). Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen, entweder hier oder auch gern per Mail. LG Bettina
Hallo Bettina,
Kleines Budget, guten medizinischen Standard und tolles Wetter? Das schreit nach Thailand. Besonders der Norden ist problemlos machbar mit weniger als 10€ pro Tag. Soll es in Europa sein, empfehle ich Portugal, nicht unbedingt i. Hochsommer. Die Portugiesen sind super kinderfreundlich und ein entspanntes Volk. Als Jannik ein Jahr alt war, sind wir drei Monate nach Amerika u d konnten dank couchsurfing auch mit ganz wenig auskommen. Evtl kannst du deine Wohnung aufloesen oder untervermieten um die Kosten in der Heimat aufzulösen.was das Umfeld sagt, ist nur die Sorge um euch. Nimm sie ernst aber lass deine Meinung davon nicht beeinflussen
Super, vielen Dank für die schnelle Antwort! Ich werde nächsten Monat spontan mit einer Reise in Europa beginnen (Schottland, England, Frankreich) und hoffe auch auf CS-Unterkünfte. Werde nach Schottland Fliegen und den Rest mit der Bahn. So zumindest der Plan, ich muss mir das alles noch gut durchrechnen. Wenn das gut klappt, dann trau ich mir mit Sicherheit auch Thailand zu. Da wir erst ab September einen Krippenplatz bekommen haben, haben wir jetzt viel Zeit, die ich sinnvoll nutzen möchte. Noch eine Frage, hat dein Kind damals gut geschlafen? Bei uns ist es leider noch nicht so gut…
Jannik ist kein guter Schläfer gewesen und brauchte immer viel Beschäftigung. Versuche couchsurfing gut zu planen. In Europa ist es nicht so schwer was zu finden. Vielleicht kannst du deine Wohnung untervermieten und so die Kosten senken. So habe ich es die drei Monate in Amerika gemacht. Wenn du noch Fragen hast, schreib mich gerne an.