Kindererziehung auf Langzeitreisen
Kindererziehung auf Langzeitreisen oder was sind Strukturen?
Seit knapp sechs Monaten sind wir jetzt schon unterwegs. Genug Zeit, um einmal ein Thema aufzugreifen, welches viele beschäftigt. Kindererziehung auf Langzeitreisen. Welche Rolle spielt die Erziehung eigentlich auf einer solch langen Reise? Sechs Monate, genug Zeit, um viele andere reisende Familien zu treffen und das Thema zu erörtern. Ich hab sie alle gesehen, die Kinder, die reisen. Die Freien, die Wilden, die Sensiblen, die Aufgeweckten, die Neugierigen, die Ruhigen, die Introvertierten, die Extrovertierten, die Aufmüpfigen und und und. Ich treffe auch die, die klein gehalten werden oder groß gemacht werden, die, die überfordert oder unterfordert werden. Was aber alle gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass sie über einen längeren Zeitraum aus ihrem gewohnten Umfeld raus sind. Was das bedeutet? Darüber möchte ich einmal schreiben.
Wild und unerzogen auf Langzeitreisen?
Jannik ist ein wildes Kind, in manchen Dingen “unerzogen” wie es der Volksmund sagen würde aber immer er selbst. Ich bin kein Fan von vielen Verboten aber es gibt einige wenige Regeln auf denen ein Zusammenleben aufgebaut wird. Er kann raufen und sich messen mit Jungen in seinem Alter und das mit Händen und Füßen aber kontrolliert, spielt er mit Schwächeren oder Mädels, die es nicht mögen, darf er es beispielsweise nicht. Es ist meine Aufgabe, diese wenigen Regeln einzuhalten und gegebenenfalls zu kontrollieren. Ansonsten würde ein harmonisches Beieinandersein schwer möglich sein. Wie ist das aber nun auf einer Langzeitreise, wenn wir häufiger den Ort wechseln, ständig neue Kinder auf uns treffen und andere wilde und “unerzogene” Kinder auf uns treffen? Ganz ehrlich, es ist hart und erfordert ein hohes Maß an Konsequenz und Struktur. Oft werde ich gefragt, wie ich meinem Kind denn bitte auf einer solchen Reise Struktur bieten kann? Aber was bitte definieren wir eigentlich als Struktur? Ist es der feste Tagesablauf an sich täglich wiederholenden Orten oder kann es unter Umständen auch eine Geste, der gleiche Blick oder die Art und Weise wie wir miteinander kommunizieren sein? Für mich zählt es nicht wo wir uns befinden, für mich zählt nur die Art und Weise wie wir unseren Alltag auf der Langzeitreise gestalten. Und eines hab ich ganz sicher gemerkt, der ständige Ortswechsel sorgt für weniger Konfliktpotenzial als lange Zeit an einem Ort zu bleiben. Denn die Vertrautheit mit einem Ort macht selbstbewusst und stark, um bestehende Grenzen erneut auf Zuständigkeit zu prüfen. Und so testet Jannik ganz bewusst ob das NEIN noch gilt nach 20 Versuchen.
Der Alltag auf einer Langzeitreise
Wer zwei oder drei Wochen vereist, neigt schon mal eher dazu, die “Regeln” zu lockern und so habe ich auf unserer Reise bisher erkannt, dass gerade die Kinder auf Langzeitreise mehr mit Kindererziehung zu tun haben als die Kurzzeiturlauber, die statt ein Eis eben doch zwei bekommen oder statt ins Bett zu gehen wenn sie müde sind eben doch länger aufbleiben weil es für die Eltern grad die bequemste Lösung ist und es gibt noch so viele Beispiele dazu. Klar gibt es immer Ausnahmeregeln aber eben nicht ständig. Niemand hat Lust sich in seinem Jahresurlaub mit den Kindern zu streiten oder auseinander zu setzen, jeder will seinen Spaß und sich entspannen. Auf einer Langzeitreise habe ich aber Zeit und muss mich mit Problemen auseinander setzen, die mir auch im Alltag in Deutschland begegnen würden. Ich spreche also von einem Alltag auf einer Langzeitreise und das trifft es auf den Punkt. Anders als auf kurzen Reisen sind unsere Tage nicht jeden Tag mit Aktivitäten gefüllt, wir haben auch jede Menge Tage, an denen wir nichts besonderes machen weil wir eben keine Touristen sind. Manch einer nennt uns Aussteiger und irgendwie sind wir das ja auch aber am Ende ist es egal welches wohl die beste Bezeichnung ist, wir leben einen Alltag an Orten wo andere Menschen Urlaub machen. Das alleine bedeutet schon Alltag und bringt uns oft in Situationen, die Konfliktpotenzial sorgen. Während die Kurzzeiturlauber oft sehr gönnerhaft mit ihren Kindern sind und beispielsweise zum Essen noch die Limo kommt, das Eis und vielleicht noch ein Stück Kuchen, schaut Jannik oft traurig zu. Für uns ist es halt nicht der Kurzurlaub, in dem wir auf die Kacke hauen. Und der Versuch Jannik wie die anderen Kinder lange wach zu lassen, war auch ziemlich schnell eine blöde Idee, denn das Resultat war ein unausgeglichenes Kind, welches sich nicht gern zu Bett bringen ließ. Jetzt, wo er wieder fest um sieben ins Bett geht, gibt es kein Einschlafdrama mehr und ein deutlich ausgeglicheneres Kind.
Kindererziehung auf Langzeitreisen und das Schubladendenken
Auch wenn ich mir an manchen Stellen ein “wohl” erzogenes Kind wünsche, das “pariert” wenn ich es sage, habe ich mich seinerzeit für eben genau diese freie Erziehung entschieden. Jannik soll sein dürfen wie er ist solange er andere in ihrer Freiheit nicht einschränkt. Ich muss deutlich häufiger die Spielsituationen überblicken und eventuell eingreifen, um zu deeskalieren und auch die Tatsache, dass Jannik oft der lauteste ist, wirft für den Außenstehenden Fragen auf. Das bringt Zündstoff mit sich und eine Kritik, die mich oft in den Augen anderer in die Schublade der überforderten Alleinerziehenden steckt. Und ja, es gibt viele Momente, in denen ich überfordert bin und zwar mindestens genau so sehr wie es andere Eltern auch sind aber über die spricht niemand. Denn sie sind nicht allein und ziehen mit ihren Kindern um die Welt. Wenn du also auf Reisen bist und die freien “unerzogenen” Langzeitreisekids triffst, dann lass dir eins gesagt sein, sie sind nicht wild, weil sie auf Reisen sind, sie sind wild, weil sie so sein dürfen wie sie sind, weil sie nicht in einem System stecken, das stark reglementiert ist. Ich will weder verurteilen noch bewerten aber eines kann ich ganz gewiss sagen, wer auf Langzeitreise mit Kindern ist, der setzt sich jeden Tag mit der Kindererziehung auseinander. Also mach dir nicht zuviele Gedanken wie du das Erziehungsproblem auf einer Langzeitreise lösen könntest.
Ein Ratgeber zur Kindererziehung auf Langzeitreisen?
Dieser Beitrag soll kein Ratgeber für die richtige Kindererziehung auf Langzeitreisen sein, viel eher möchte ich dazu ermutigen über den Tellerrand zu schauen und die Dinge einmal mit anderen Augen zu betrachten. Jedes Elternteil hat für sich eine Art und Weise gefunden, wie es mit den Kindern umgeht. In den allermeisten Fällen handeln wir aus Überzeugung, weil wir intuitiv immer wissen was für unser Kinder gut ist. Wenn du also mit deinem Kind auf eine Langzeitreise gehst, dann plane nicht zu viel im Vorwege, beobachte stattdessen wie dein Kind sich in die Reise einfügt und bleibe deinen Strukturen treu. Dabei muss es nicht das Mittagessen zur gleichen Zeit sein oder der gewohnte Morgenkreis, am Ende geht es darum, dass du dir selbst treu bleibst und nicht von Dingen abrückst, die dein Kind verunsichern. Wenn dein Kind zuhause nicht mit Hunden spielen darf, solltest du das im Urlaub nicht ändern und wenn ihr viermal am Tag die Zähne putzt, dann ist es auch das kleinste Problem, das beizubehalten. Genau diese kleinen Dinge können am Ende die sogenannte Struktur ausmachen. Gefährlich wird es wenn falsche Werte wie beispielsweise ein schlechtes Gewissen Antrieb für ein Auflockern der Regeln sind. Wer jedoch sein Kind von morgens bis abends zurecht stutzt, der wird am Ende nicht viel zur individuellen Entwicklung beitragen. Kinder wollen auch ihre Interessen ernst gesehen haben und das darf niemals in Vergessenheit geraten.
Der Raum auf einer Langzeitreise ich selbst zu sein
Ich bin nicht perfekt und mache garantiert nicht alles richtig. Manchmal reagiere ich über und manchmal zu spät aber wozu ich auf einer Langzeitreise in jedem Fall Zeit habe ist zu reflektieren und meine eigenen Verhaltensmuster zu überdenken. Und auch ich war in einigen Punkten nachlässig und hatte dadurch ein unausgeglichenes Kind aber nachdem ich diese Nachlässigkeit abgestellt habe, war der Umgang mit Jannik auch wieder entspannter. Er wird nie der Junge sein, der alles tut was ich sage oder beim ersten Mal hört und trotzdem liebe ich ihn genau so wie er ist. Auch wenn er mich in manchen Momenten in den Wahnsinn treiben kann, und ich hin und wieder denke, er könnte deutlich mehr Strenge gebrauchen, weiß ich doch, ich will keinen “Roboter”, der blind Anweisungen folgt. Und das ändert auch eine Langzeitreise nicht, ganz im Gegenteil, es gibt uns den Raum so zu sein wie es sich richtig anfühlt. Was uns immer wieder hilft ist ein Raum mit hohen Konfliktpotenzial zu verlassen. Wenn Jannik mal gar nicht erreichbar ist, kann ich mit ihm an den Strand flüchten, Wut rauslassen und über das Geschehene sprechen. Mit älteren Kindern bleibt zudem noch der Raum des freien und selbstbestimmten Lernens. Die Welt erklärt soviel auf ihre eigene Art und Weise, die kein Mensch je so erklären könnte.
Kindererziehung auf Langzeitreisen und was meinst du dazu?
Wie sieht deine Kindererziehung auf Langzeitreisen oder auch kurzen Reisen aus? Wie wichtig findest du ein “parierendes” Kind und wie oft machst du Ausnahmen zur Regel? Mich interessiert brennend deine Meinung zu dem Thema. Also hinterlasse mir einen Kommentar und erzähl mir deine Meinung zur Kindererziehung auf Langzeitreisen.
Wirklich auf den Punkt gebracht. Ich habe auch oft meinen Reisen die wilden Kinder kennen gelernt und auch wenn sie oft lauter als die anderen sind, waren sie mir am Ende lieber als die kleinen gut erzogenen Roboter, die in ihrem späteren Leben die braven Fließbandarbeiter werden.
Hallo Nadja,
auch ich nehme lieber ein wildes und “ungezogenes” Kind als ein “braves” Kind in Kauf. Ich spreche aus Erfahrung wenn ich sage, der erstere Fall kostet deutlich mehr Kraft. Aber wer will schon überspitzt gesagt ein “Fließbandarbeiter” werden, der jeden Befehl befolgt? Sicher mag ich nicht alle über einen Kamm scheren. Ich persönlich aber bevorzuge das Wilde.
Ich habe Respekt vor solchen Menschen. Wenn man das macht und so hinbekommt, wie du mit deinem Kind, dann muss das erst mal einer nachmachen. Freue mich, auf weitere Artikel.
Liebe Grüße, Steffen
Ich finde das mit der Erziehung auf Reisen immer schwierig. Ich bin Alleinreisender ohne Kinder und war kürzlich auf Bali. Mit mir eine fünfköpfige Familie, die ihren Kids überhaupt keine Grenzen gesetzt haben. Ich habe nach drei tagen das Hotel gewechselt, weil es mir einfach Zuviel wurde. Ich finde es schon wichtig, dass Kinder sich benehmen können aber ohne dabei Soldaten zu werden. Eine Antwort darauf finde ich wahrscheinlich erst wenn ich selbst Vater bin.
Lieber Kristof,
Ich kann dich schon verstehen, denn für kinderlose Reisende kann das schonmal zur Zerreißprobe werden. Das liegt einfach daran, dass du mit dem Wunsch los fährst Ruhe und Gelassenheit zu finden. Ich habe übrigens kürzlich grad entdeckt, es gibt auch immer mehr Hotels und Resorts, die kinderfrei sind.
Liebe Stephi, also bei dem Begriff “parierendes Kind” läuft’s mir eiskalt den Rücken runter, klingt mehr nach Hund als nach Kind. Auf gar keinen Fall hat das in meinen Augen etwas mit Kindererziehung zu tun. Du schreibst, dass wer auf Langzeitreise mit Kindern ist, der setzt sich jeden Tag mit der Kindererziehung auseinander. Kindererziehung ist für mich ein ständiger Prozess, zuhause, auf einer kurzen oder auch langen Reise – spielt überhaupt keine Rolle. Man kann da nicht wirklich eine “Auszeit” nehmen. Klar, da ist mal das extra Eis im sogenannten Kurzurlaub, aber auch das ist ja ein Teil der Erziehung, dass es eben manchmal ganz klare Ausnahmen gibt.
Struktur ist wichtig für Kinder, auch auf einer langen, monatelange Reise. Das ist aber auf gar keinen Fall gleichzusetzen mit Tausenden von Regeln und alltäglichen Rutinen (beim Zähneputzen hört bei mir allerdings der Spaß auf, das müssen unsere Kids fast immer, egal ob müde, lange Reise und und und… 🙂 ). Und natürlich musst du als alleinerziehende Langzeitreisende teilweise ganz andere Schwierigkeiten meistern als andere oder wenn du sesshaft wärst. Bin mir sicher, dass du das meistern wirst! Weiterhin viel Spaß auf eurer spannenden Reise.
Lieber Hartmut,
Worte wie das “parierende Kind” begegnen mir auf unserer Reise immer wieder und zwar dann, wenn Jannik wilde Hummel spielt. Und was den Prozess der Erziehung angeht, stimme ich dir in vollem Umfang zu und dennoch stelle ich fest, dass gerade auf den kurzen Reisen deutlich weniger Struktur ist als man den Langzeitreisenden nachsagt. Regeln gibt es bei mir fast keine, was für mich auch nichts mit Struktur zu tun hat. Und ja, zwischen Bewunderung und Mitleid hab ich alles schon erleben dürfen auf unserer spannenden Reise. Danke dir für dein Feedback
Liebe Stephi,
ich möchte einmal meinen Hut vor dir ziehen. Einfach so aus einem System voll Sicherheit auszusteigen, kostet viel Mut. Das ganze auch noch alleine mit Kind zu machen kostet mehr Mut, zuzugeben dass du auch mal überfordert bist, ist aber die Königsdisziplin. Ich selbst bin seit drei Jahren alleinerziehende Mutter und stelle immer wieder fest, dass eine alleinerziehende fast nie zugeben würde, wenn sie überfordert ist, weil ja genau das die Gesellschaft erwartet von den Alleinerziehenden. Die Mutter- und Vaterrolle zu vereinen ist sehr kräftezerrend. Auf Reisen stelle ich mir das nochmal doppelt stressig vor, denn Oma oder Opa sind nicht greifbar zum Babysitten. Ich finde, du machst das richtig toll und Jannik wird sicher mal ein ganz toller Mann werden, der weiß, was er will.
danke für diesen wieder sehr schönen artikel. ich kann gut verstehen, dass du manchmal an deine Grenzen kommst. Ich finde diesen Spagat zwischen “Urlaub”/”Reisen” und dem Kind trotzdem genügend “Struktur” und Alltag zu bieten auch immer sehr schwierig, wenn ich mit miener Tochter reise.
Ich merke immer wieder, dass das was du schreibst, besonders wichtig ist: Nicht viele Regeln, aber die, die aufgestellt werden, müssen eingehalten werden und bestehen bleiben. Das hilft mir ebenso wie meiner Tochter.
und ja – mir sind die wilden kinder lieber als die komplett gemaßregelten 😉 Allerdings gibt es kein schwarz und weiß und etliche Abstufungen zwischen den Extremen ‘Gar nicht “erzogen”‘ und ‘parierend’
liebste grüße aus osnabrück!
Liebe Nina,
danke für dein tolles Feedback. Du weißt genau wie es ist mit Kind unterwegs zu sein und den roten Faden nicht zu verlieren. Ja, wenige Regeln sind mir am Ende lieber als viele, die ich gerade alleine gar nicht einhalten kann. Und ein schwarz und weiß gibt es am Ende eh nie, denn dazwischen gibt es ein Meer an Farben. In diesem Beitrag wollte ich aber einmal bewusst die Extreme vergleichen.
Liebe Grüße aus Thailand nach Osnabrück
Hey Steffi, schön wieder etwas zu lesen! Ich habe beim Lesen das Gefühl bekommen, dass dich irgendwer verletzt oder beleidigt hat. Kindererziehung ist ein ganz eigenes Thema-ob auf Lang-, Kurzzeitreise oder zuhause. Lass dir nicht reinreden, wie du schon sagtest es geht viel über Bauchgefühl, ne Betriebsanleitung wird bei Geburt nicht mitgeliefert…. ! Ich finde es aber nicht richtig, dass du gut erzogene Kinder als Roboter und spätere Fließbandarbeiter bezeichnest. Es gibt sicherlich auch solche, aber eben auch solche mit dem goldenen Zwischenweg 🙂 . Es gibt sie, und sie leben unter uns. Ich finde es auf alle Fälle schön dass du dich immer wieder auf’s Neue reflektierst und mir gefällt einfach deine Sicht auf andere Menschen und Länder
Hallo Angie,
auf Langzeitreisende schwanken die Reaktionen zwischen Bewunderung und Kopfschütteln bzgl. des Kindes. Ausschlaggebend für diesen Beitrag war eine Unterhaltung mit einer Reisenden, die das Thema sehr kritisch hinterfragt hat und in dieser Unterhaltung sind auch Worte wie Parieren und Roboter gefallen. Ich habe jetzt schon viele Familien kennen lernen dürfen und darunter waren die freien und wilden genau wie die mehrfach täglich gemaßregelten. Ein Zwischending wäre der Idealweg aber man trifft Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Ich denke, gerade in unserer Gesellschaft ist es ein Problem, dass Kinder zu viel funktionieren müssen und der Fließbandarbeiter war ein Wort, das ich aus einem Kommentar aufgefasst habe. Ich habe es gerade in China ganz deutlich gespürt welch starken Einfluss übertrieben viele Regeln auf die Menschen hat, der Effekt daraus ist in der Tat ein extrem hohes Maß an Produktivität. Wie gesagt, am Ende muss jeder selber seinen Bauch entscheiden lassen was der richtige Weg ist aber ich wollte einmal mit einem Vorurteil aufräumen dass Langzeitreisekids keine Strukturen und Regeln kennen.
Liebe Stephi, wir beide haben, glaube ich, recht unterschiedliche Auffassungen von Kindererziehung. Aber das ist ja nicht schlimm. Als Mutter gibt jede immer ihr bestes, und wer “am rechtesten” hatte, können wir wahrscheinlich erst als alte Omas ausdiskutieren, wenn wir absehen können, wie unsere Jungs durchs Leben gekommen sind. Und selbst dann ist die Frage: Wie viel davon lag an uns? 🙂
Jedenfalls, meine beiden wurden auf unserer Langzeitreise immer wieder dafür gelobt, dass sie gut erzogen seien (wobei sie natürlich auch oft genug das Gegenteil bewiesen haben, wie jedes Kind halt). Sie gehen (meistens) selbstständig ins Bett, wenn ich ihnen sage, dass die verabredete Uhrzeit erreicht ist, und sie decken (meistens) den Tisch, wenn ich sie darum bitte. Manchmal motzen sie auch, und ich muss sie daran erinnern, dass in unserer Familie jeder seine Aufgaben hat, ob zu Hause oder auf Reisen. Mittlerweile kann ich sie ruhigen Gewissens alleine an Buffets gehen lassen und in jedes Restaurant und Museum mitnehmen, ohne mit ihnen negativ aufzufallen (sie sind 9 und 11). Das läuft jetzt, weil wir die ersten Jahre lang intensiv konsequente Erziehungsarbeit geleistet haben. Wir verstehen uns dabei nicht als Dompteure, aber wir haben begründete Regeln aufgestellt, Grenzen gesetzt und die konsequent durchgezogen. Klar ist im kurzen oder längeren Urlaub mal was anders als zu Hause, aber Grundsätzliches gilt immer. Bis jetzt bin ich sehr glücklich damit, wie meine Kinder “geraten sind”, und ich denke, meine Jungs sind es auch. Ich glaube nicht, dass sie sich besonders gut zur Fließbandarbeit eignen, und wie Roboter funktionieren sie auch nicht. Sie sind sehr selbstständig und fühlen sich überall schnell zu Hause. Unerzogen sind sie nicht, wild sind sie oft und dürfen sie auch sein – wenn der Rahmen es zulässt.
Ich fand es herrlich, auf unserer Langzeitreise mehr Gelegenheit als im Alltag zu Hause zu haben, über Erziehungsfragen nachzudenken und durch das ununterbrochene Zusammensein jederzeit die Möglichkeit zu haben, meine Gedanken am praktischen Beispiel zu reflektieren. Generell hatten wir immer wieder das Gefühl, auf unserer Reise das zu ernten, was wir in den ersten Jahren so mühevoll gesät haben.
Auf jeden Fall alles Gute für Jannik und dich! Und liebe Grüße,
Lena
Liebe Lena,
ich danke dir sehr für dein Feedback. Deine Meinung bedeutet mir sehr viel, da du wie wir auch lange Zeit mit deinen Kindern auf Reisen warst. Was du sagst über die unterschiedlichen Erziehungsstile ist sehr wahr. Wenn du von Regeln und konsequenter Erziehung sprichst, dann erziehst du deine Kinder eigentlich nicht anders als ich es mit Jannik tue. Vermutlich gibt es bei mir einfach weniger Regeln. Wenn du deine Kinder selbsständig erziehst, dann gibst du ihnen entscheidende Werkzeuge mit, die sie für das Leben fit macht. Wenn ich von “Robotern” spreche, meine ich jene Kinder, die von morgens bis abends gemaßregelt werden und damit klein gehalten werden. Ein System, was im übrigen auch in vielen Schulen das freie Denken unterbindet. Dass ich Jannik eher frei erziehe, bedeutet übrigens trotzdem, dass er sich alleine am Buffet bedienen kann oder sich im Museum zu “benehmen”, weil er eben genau diese “Regeln” verstanden hat durch simples Vorleben. Ansonsten ist er wild und laut und ja , manchmal auch “unerzogen”, was im groben aber eher unsere Lebenseinstellung ist. Ich mache mir aber dennoch absolut keine Gedanken um sein “Benehmen” in einigen Jahren. Ich denke, du hast super tolle Jungs und da kannst du sehr stolz drauf sein. Dass ihr eine so lange Reise gemeistert habt, zeugt von einem harmonischen Beisammensein.
Liebe Stephie,
leider bin ich erst jetzt dazu gekommen, deinen Beitrag zu lesen. Lass dir eins gesagt sein, du hast einen bezaubernden kleinen Mann an deiner Seite. Er ist aufgeweckt, frei und selbstständig. Ich hab es normalerweise nicht so mit Kindern und genau genommen sind mir die ruhigen auch lieber aber Jannik versprüht diesen ganz gewissen Charme, dem ich mich nicht entziehen kann und er schafft es mit einer Mischung aus Energie und Ausgeglichenheit und seinem freien Schnabel mich komplett in seinem Bann zu ziehen. Ich könnte ihm den ganzen Tag zuhören bei seinen Ideen und Weltanschauungen und wenn man eines ganz deutlich merkt, dann dass er ganz er selbst sein darf und dazu gehört es auch, sich auszuprobieren, Grenzen zu testen und in sich zu wachsen ohne gefangen zu sein. Nach meiner Meinung hast du alles bisher richtig gemacht und ganz gewiss wird es dein Sohn dir irgendwann danken, dass du ihn so groß werden lässt. Ich finde, du bist eine wahnsinnig starke Frau und das nicht weil du alles perfekt machst, sondern weil du zu deinen Fehlern stehst und das spürt auch dein Sohn. Bleib wie du bist aber lass dich nicht verunsichern von anderen Wertvorstellungen. Wir alle sind Individuen, die ihre Daseinsberechtigung haben, so wie sie sind. Ich bin froh, euch auf meiner ganz persönlichen Reise kennen gelernt zu haben und werde deinen Geschichten hier folgen.
Ganz dicke Umarmung aus dem kalten Deutschland und ich hoffe, wir sehen uns mal wieder auf einem kleinen gemütlichen Fleckchen dieser Welt.
Gisela
So schön von dir zu hören. Du hast es mit deinen Worten geschafft, mich zu Tränen zu rühren. Ich danke dir für diese lieben Worte, die mich zu einer Zeit erreichen, in denen sie so wertvoll sind. Und ja, ich hoffe sehr, dass wir uns wieder sehen. Notfalls dann mal in Deutschland. Ganz liebe Grüße auch von der Quasselstrippe Jannik 😉