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Suzhou und die letzten Tage in China

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Suzhou

Suzhou und unsere letzten Tage in China

Wir fühlen uns in Suzhou schon richtig heimisch und ich bereue keinen Moment aus Shanghai geflüchtet zu sein. Suzhou, die Stadt der Gärten wird sie genannt. Tatsächlich gibt es wohl ein paar schöne Parkanlagen, die Suzhou zu etwas besonderem machen. Die vielen Kanäle und Brücken geben Suzhou auch den Ruf das Venedig des Ostens zu sein und der Stadtkern ist traditionell geblieben, während das Drumherum dem üblichen chinesischen Bauboom unterfallen ist. Ich bemühe mich so wenig Touristenprogramm wie möglich zu machen, denn ich will Abstand von dem, was der Durchschnittsurlauber sonst treibt, ich will keine Gondelfahrt durch die Kanäle, kein Seidenmuseum besuchen und keine Fahrt mit dem Sightseeingbus, ich will eintauchen, ich suche nach Antworten auf viele Fragen, ich lass mich treiben, folge dem Fluss und bleibe stehen, wann immer ich genauer hinsehen will.

Suzhou

Radeln durch Suzhou

Unsere Tage verbringen wir fast ausschließlich auf und mit dem Rad und mir wird immer klarer, was ich wirklich will und was uns gut tut. Wir radeln durch die engen Gassen der historischen Altstadt, wagen einen Blick in die Fenster, verstehen immer noch kein Wort und trotzdem fühle ich mich irgendwie chinesisch. Ich schaue zu wie die Menschen ihre Wäsche im Fluss waschen, sich aus dem gleichen Nass zum Wischen bedienen und horche ihren aufgeregten Stimmen, die ein wenig hektisch wirken aber scheinbar völlig normal sind. Mit der Zeit lernt man sich den Umständen anzupassen, was nicht heißt, dass alles gut ist aber es ist eben auch nicht alles schlecht und trotz einiger Dinge, die ich nicht verstehen will, bemühe ich mich um Verständnis für das Leben in China wie es ist und wann immer ich anhalte und still beobachte, erfahre ich etwas über alte Traditionen, die sich die Chinesen über Jahrhunderte bewahrt haben. Allein der Vergleich von Shanghai zu Suzhou ist so gegensätzlich wie man es sich kaum vorstellen mag. Ich mag diese engen kleinen Gassen und gewöhne mich auch schon an Gerüche, die mich anfangs gestört haben, ich mag das geschäftigte Treiben und ich liebe es, dem Fluss der Straße auf dem Rad zu folgen, das Gehupe des Hintermanns und die vielen kleinen Garküchen am Straßenrand.

Ein Kindertraum wird wahr in Suzhou

An einen Tag nutzen wir die U-Bahn und fahren in den westlichen Teil von Suzhou zum Jiangsee und dort erlebt Jannik seinen wohl schönsten Tag. Bereits seit Monaten liegt er mir in den Ohren damit, er möchte so gerne mal angeln und ich behandel das Thema sehr abweisend, weil ich es nicht für gut heiße aus Spaß einen Fisch zu fangen, es sollte einem Überlebenszweck dienen. Ganz früh morgens am See treffen wir auf einem kleinem Holzsteg zwei einheimische Angler und Jannik bestaunt die Anglen so sehr, dass es keine Worte bedarf, um zu verdeutlichen wie sehr jetzt auch angeln würde und ehe er sich versieht, hält er die Angel in der Hand und ist sooo stolz, dass es mir fast die Tränen in die Augen treibt. Seine Geduld reicht zwar nur für eine Stunde und er gibt sehr frustriert auf, beschwert sich nichts gefangen zu haben und sucht nach kindgerechten Antworten darauf, aber am Ende reicht dieses Erlebnis, um zwei volle Tage Gesprächststoff damit zu füllen. Wer kennt das bitte nicht? Wenn sich ein Traum erfüllt und man das als Kind ereben darf, ist alles andere so unwichtig und man schläft mit dem Erlebnis ein und man erwacht auch damit wieder und es dreht sich alles darum bis einige Tage später der Hype darum verloren ist.

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Abschied von Suzhou und zurück in die Weltstadt

Nach einer Woche in Suzhou heißt es nun Abschied nehmen, Abschied vom wirklich liebgewonnen Fahrrad und Abschied von einer Stadt, die uns mehr gelehrt hat, als ich es zuvor erahnen konnte. Diesmal war ich clever, die Tickets sind bereits drei Tage vorher gekauft wurden, um mit dem Zug von Suzhou nach Shanghai zu kommen. Wir machen uns auf zu der ersten Übernachtungsmöglichkeit in China bei Couchsurfern, denn zuvor sind alle wieder abgesprungen und ich bin irre aufgeregt. Da ich mich wirklich schwer tue, den Bus zu nutzen ohne chinesische Begleitperson, einigen wir uns darauf, dass wir an der nahegelegen U-Bahnstation abgeholt werden. Ich bin mähtig stolz auf uns, dass wir das alles so problemlos hin bekommen und ich schätze noch zwei weitere Wochen und ich würde mich auch an den Bus rantrauen 😉

Shanghai

Chinesische Gastfreundschaft

Wir holen gemeinsam mit Dancy, der chinesischen Couchsurferin ihren Sohn Howard von der Schule ab und Jannik genießt später die vielen Spielzeuge des 8jährigen Howards. Wähernd wir mit wirklich gutem chinesischen Gemüse und Reis versorgt werden und Jannik und Howard den Abend mit Spielzeug verbringen, erfahre ich ein wenig mehr über die Familie und die chinesische Kultur. Ich treffe auf eine Familie, die so anders ist, als ich bisher kennen gelernt habe. Ich erfahre vieles über die strikten Regeln der Regierung, von denen ich selbst auch die letzten Wochen betoffen war, zB in Form der Facebook-Sperrung und auch meine Blogbeiträge ließen sich bald nicht mehr hochladen, sowie die Sperrung des Emailaccounts. Ich bewundere die Art und Weise wie diese Familie mit den Umständen umgeht und doch gleichzeitig sich Freiheiten rausnimmt und Verständnis für die Reglements zeigt. Ich genieße wirklich jeden Moment und erfahre eine außerordentlich große Gastfreundschaft in einer absolut liebevollen Familie.

Raus aufs Land

Der nächste Tag ist etwas ganz besonderes für mich. Ich wache auf und höre bezaubernde chinesische Klänge, die mir ein Gefühl von Ruhe und Ausgeglichenheit geben. Es lässt sich einfach schwer in Worte fassen, das Gefühl grad ganz bei sich zu sein, zur richtigen Zeit am richtigen Ort und alles richtig gemacht zu haben. Während ich befürchte, dem chinesischen Sightseeingzwang unterzogen zu werden und mich schon von einem Hochhaus zum anderen hetzen sehe, erhalten wir die Einladung mit der Familie aufs Land zu fahren, wo sie in der Regel am Wochenende von der Großstadt flüchten. Ich kann mein Glück kaum fassen, denn der Wunsch, endlich ein wenig Stille zu erfahren, ist sehr present bei mir. Der Tag ist einfach traumhaft, ich lerne ein Stück des wirklich einfachen Lebens und herzliche Gastfreundschaft der Landbevölkerung kennen. Jannik genießt in erster Linie die Freiheit, das weite Reisfeld, die wenigen Autos, den kleinen Bach mit den kleinen Fischen, die Steine, die wie Kreide genutzt werden können und die Tatsache, dass keiner von hinten ruft, er möge nicht zu schnell und nicht zu weit laufen. Er hilft bei der Gartenarbeit, bestaunt die Baumwolle, knabbert mit mir am Bambus und hilft den Leuten, das Gemüse marktfertig zu machen. Alles in allem ein perfekter Tag und ich bin außerordentlich dankbar dafür, noch einmal die Chance bekommen zu haben, ein anderes China kennen zu lernen.

Bye Bye China

Der letzte Morgen in China beginnt wieder mit traditionellen Klängen aus der Musikanlage unserer Hostfamilie, es berührt mich einfach sehr und ich merke wie gut mir das tut, und ich wünsche mir, diese Gewohnheit mit mir zu nehmen und mich selbst jeden Morgen mit ähnlichen Klängen in den Tag zu stimmen. Den Vormittag verbringen wir im nahegelegen Park und die beiden Jungs machen den kleinen aber feinen Spielplatz unsicher. Mich bedrückt etwas und ich kann es noch nicht klar definieren bis der Abschied bevor steht. Ich möchte nicht gehen, ich fühle mich noch nicht so weit, diese Familie und China zu verlassen. Nach all den schweren Hürden, die wir bis jetzt in diesem Land hatten, ist genau jetzt der perfekte Zeitpunkt, sie zu vergessen. Denn einzig dieser Moment ist der, der in meinem Herzen bleiben wird. Wir steigen in den Flieger und an mir ziehen knappe vier Wochen China vorbei. Das Gefühl der Fremde, die Sprachbarrieren, die Kultur, die mich teils ängstigte und teils begeisterte, eine kräftezerrende Nacht im Localtrain, der kleinwüchsige Strassenmusiker, der Tiermarkt und letztendlich eine der herzlichsten Begegnungen, die ich je hatte. Ob ich China wieder besuchen werde? JA, ganz gewiss so gar aber beim nächsten Mal erfülle ich mir einen Traum, nämlich das Land mit dem Rad zu erleben. Wann? Das weiß ich nicht, aber ich werde wieder kommen.

Jetzt geht es erstmal in das Land des Lächelns und in vertraute Gebiete, auf nach Thailand.

China

Stephi
Alleinerziehend.Reisesüchtig.Freiheitsliebend.Alternativ.

6 Comments

  1. Schön das du/ihr doch noch eine sooo schöne Zeit dort verbringen konntet. Du schreibst so toll, es fühlt sich an als wäre ich mit auf eurer Reise =) ich freu mich schon auf den nächsten Bericht =)

  2. Ich freue mich, dass du doch noch so viell Positives aus diesem schwierigen Lsnd mitnehmen konntest! Und wie immer bewundere ich deinen Mut und deine tolerante, interessierte und offene Einstellung zu dieser eigenartigen Kultur. Ich denke dass du Reiseinteressierten klasse Beiträge zur Verfügung stellst. Was ist dagegen lonely Planet???? Ich warte mit Spannung wieder von euch zu hören! Drück euch

  3. Einfach faszinierend. Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, wie westlich China in den Ballungsgebieten sprich Mega-Cities geworden ist. Ich empfinde es als große Leistung so etwas auf die Beine zu stellen. Leider fällt bei sowas immer etwas von der Kante. Es gibt sicher viele, die davon nicht profitieren. Ist man davon betroffen, ist es sehr unsäglich.
    Aber schön, dass man noch Bereiche finden kann in denen es ruhiger zugeht. Und die Idee mit dem Fahrrad zu fahren finde ich sehr gut. Man schaft etwas mehr als zu Fuß und sieht doch viele Kleinigkeiten am Wegesrand und kann in die Kultur ansatzweise eintauchen.
    WEiter viel Spaß. LG Papi

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